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Interview: Club-of-Rome-Mitglied Brunnhuber: „Angst vor Klimaapokalypse hilft nicht“

Interview

Club-of-Rome-Mitglied Brunnhuber: „Angst vor Klimaapokalypse hilft nicht“

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    Der Ökonom, Chefarzt und Psychologie-Professor Stefan Brunnhuber entwirft als Vordenker im Club of Rome eine völlig neue Finanzpolitik gegen Armut und Krisenursachen.
    Der Ökonom, Chefarzt und Psychologie-Professor Stefan Brunnhuber entwirft als Vordenker im Club of Rome eine völlig neue Finanzpolitik gegen Armut und Krisenursachen. Foto: Neumann

    Herr Brunnhuber, Sie sind ärztlicher Direktor einer psychiatrischen Klinik, zugleich ein gefragter Ökonom, Professor für Psychologie und Nachhaltigkeit sowie obendrein eines der auf die Zahl hundert beschränkten Vollmitglieder des berühmten Club of Rome. Wie kommt man in diesen besonderen Kreis, der sich der Rettung von Planet und Menschheit verschrieben hat?

    Stefan Brunnhuber: Meine Beziehung begann früh: Ich saß als Schüler Mitte der siebziger Jahre im Fuggergymnasium in Augsburg im Wirtschaftskurs. Da kommt der Wirtschaftslehrer rein und sagt, Buben, ich habe da einen Bericht gelesen, "Die Grenzen des Wachstums", der wird die Welt verändern. Ich habe als 14-jähriger mir gleich das Buch gekauft. Ich war von der wissenschaftlichen Stichhaltigkeit beeindruckt und auch fasziniert von dem exklusiven Kreis, um den Fiat-Manager Aurelio Peccei. Ich dachte, da will ich auch einmal Mitglied werden. Ich verfolge seit über 40 Jahren alle Berichte des Club of Rome. Später forschte ich zum Thema Finanzen und Nachhaltigkeit, hielt dazu bei der UN und der Weltbank Vorträge. Ich wurde erst als eines von 500 Mitgliedern in die Weltakademie gewählt und bekam dann tatsächlich die Chance, im Club aufgenommen zu werden.

    Wie muss man sich Ihre Arbeit im Club vorstellen?

    Brunnhuber: Der Club of Rome ist ein Netzwerk, bei dem vor allem auch die Einzelmeinung zählt. Eine allgemeine Stellungnahme des Clubs als solchen gibt es nur in ganz wenigen Fällen. Und so spricht jedes Mitglied meist nur für sich. Das hat Vor- und Nachteile. Es geht darum, mit anderen Experten zusammen Einfluss auf wichtige Themenfelder mit dem Ziel der Nachhaltigkeit zu haben. Man hört sich als Mitglied an, was die Besten auf ihrem Gebiet zu sagen haben. Zum Beispiel, was die Rettung der Weltmeere angeht, habe ich selbst kaum Ahnung und kann nur mitschreiben. Aber in einem ganz schmalen Bereich, Geld, Finanzen und Nachhaltigkeit, da werde auch ich gehört oder nach meiner Meinung gefragt. Das Ziel von allem ist schlicht ein nachhaltigeres Zusammenleben.

    Wie stehen Sie als Ökonom zur Wachstumskritik?

    Brunnhuber: Es geht nicht um fundamentale Wachstumskritik oder gegen Wachstum als solches. Aber wenn wir so weitermachen, wie wir jetzt leben und wirtschaften, stoßen wir nicht nur an die natürlichen Belastungsgrenzen unseres Planeten. Wir gefährden langfristig auch unseren Wohlstand. Das heißt, ich bin nicht gegen Wachstum, sondern wir sollten fragen, welches Wachstum das richtige ist. Zum Beispiel brauchen wir vielmehr Kindergärten und Krankenhäuser auf der Welt. Wir brauchen viel mehr Startups, Umweltschutz und ökologische Landwirtschaft. Eine Aussage, wir bräuchten weniger Wachstum ist nicht zielführend. Aber ein Wachstumszwang auf Kosten der Zukunft des Planeten auch nicht.

    Viele im Club of Rome sprechen von einer neuen erdgeschichtlichen Epoche: So wie Steinzeit und Eiszeit erlebe die Erde nun eine Art Menschzeit, das sogenannte Anthropozän. Das heißt, der Mensch ist der entscheidende Einflussfaktor auf den Planeten. Schon lange wird dabei auch von neuen globalen Viruspandemien ausgegangen. Heißt das, Corona hat Sie nicht überrascht?

    Brunnhuber: Nein. Bei der WHO gibt es seit Jahren mehrere Szenarien und Modellsimulationen wie eine virale Pandemie auf eine Volkswirtschaft einschlagen könnte. Weltweit sagen führende Virologen schon lange, dass es angesichts unserer heutigen Vernetzung absehbar ist, dass Viren vom Tier auf den Menschen springen. Wann und wo es passiert, ob am Fleischmarkt in Wuhan, in einer niedersächsischen Schweinemast oder einer südamerikanischen Rinderzucht, das konnte man nicht vorher wissen. Aber man hätte wissen müssen, dass man sich auf solche viralen Pandemien vorbereiten muss.

    Was sind für Sie die wichtigsten Lehren aus Corona?

    Brunnhuber: Diese globale Virus-Pandemie ist etwas, was man in der Systemtheorie einen asymmetrischen Schock nennt. Uns trifft von außen ein Schock, obwohl wir denken, dass wir alles richtig gemacht haben. Aber dennoch passiert es. Das wirft die Frage auf, ob wir für die Zukunft unsere bekannten Spielregeln nicht nur neu anpassen müssen, sondern ob wir neue Spielregeln benötigen. Also „Business as usual“ und, weitermachen, als wäre nichts passiert oder ein neues, besseres Betriebssystem. Auch bei der Virus-Pandemie gibt es einen Kausal-Zusammenhang, über dem man politisch diskutieren muss. Aber das geschieht zu wenig. Der Verlust von Arten und die Vernichtung von natürlichen Lebensräumen liegt an unserem expansiven Wohlstandsmodell und begünstigt den Übersprung von Viren auf den Menschen.

    Macht uns das Effizienzstreben der Wirtschaft anfälliger für Krisen alle Art? Viele waren überrascht, dass in Europa kaum noch Schutzausrüstung und Medikamente hergestellt werden.

    Brunnhuber: Wir brauchen eine verbesserte Widerstandsfähigkeit gegen asymmetrische Schocks. Wir nennen diese Widerstandsfähigkeit in der Systemtheorie „Resilienz“. Mit zunehmender Effizienz nimmt die Resilienz unweigerlich ab, deshalb brauchen wir eine Balance zwischen beiden. Da gibt es tatsächlich einen idealen Bereich, in dem man Fehler machen und schnell korrigieren kann, um am Ende immer besser zu werden. Wir machen aber seit langem unsere Systeme immer effizienter und trimmen sie auf Kostenoptimierung. Damit kommt das Gesamtsystem früher oder später in einen instabilen Zustand. Das haben wir in der Finanzkrise erlebt. Am Ende kommt uns das sehr teuer, wie wir nun bei Corona sehen. Wir brauchen einen klaren Bewusstseinswandel, dass es billiger ist von Anfang an in Resilienz zu investieren. Die nächsten Schocks kommen sowieso.

    Das heißt wir müssen mehr Geld in den Klimaschutz investieren?

    Brunnhuber: Es ist unstrittig, dass die Erderwärmung massive Kosten und Wohlfahrtsverluste mit sich bringt. Aber zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass neben den Klimafolgekosten es auch Kosten der Klimapolitik selbst gibt. Es gibt nämlich eine bessere und eine schlechtere Politik. Die Frage ist, mit welchen Instrumenten begegnen wir der Herausforderung. Die CO2-Besteuerung ist das Eine, moderne Technologien das Andere. Der dritte große Bereich werden Anpassungen von Gesellschaften an eine neue ökologische Realität sein, vor allem im Bereich der Infrastruktur. Wir brauchen dabei viele kreative Maßnahmen. Wir erleben die Klimadebatte im Augenblick aber stark mit Blick auf die Angst vor einer Apokalypse und nicht mit Blick auf intelligente Gegenmaßnahmen. Ich plädiere dafür, die Zahlen anzu schauen: Vor 100 Jahren sind weltweit ungefähr 500.000 Menschen pro Jahr an naturbedingten Katastrophen verstorben. Heute sind es 20.000. Das heißt, heute ist die individuelle Wahrscheinlichkeit einer Umweltkatastrophe zu versterben über 96 Prozent geringer. Das alles ist Resultat eines gesamtgesellschaftlichen Anpassungsprozesses.

    Sie halten die Angst vor dem Klimawandel für übertrieben?

    Brunnhuber: Nein. Was ich kritisiere ist, dass die Debatte zu pessimistisch und apokalyptisch geführt wird. Diese Geisteshaltung verhindert dass wir wirklich kreative Lösungen auf die Straße bekommen. Die Angst vor der Klimaapokalypse hilft uns nicht. Anpassung kann unterschiedliche Möglichkeiten haben. Das heißt nicht, wir bauen nur einen Damm und warten ab. Anpassung heißt auch, wir ändern unser Steuersystem und unsere Infrastruktur. Ein Beispiel: Heute leben bereits 110 Millionen Menschen weltweit bei Flut unterhalb des Meeresspiegels. London, New York, Mekong. Der Anstieg des Meeresspiegel wird bis 2100 dazu führen, dass von den bisher 110 Millionen Menschen 150 Millionen getroffen sein werden. Das ist viel, aber machbar. Die dafür nötigen Anpassungsleistungen sind zudem billiger als nur auf CO2 -Reduktionsmaßnahmen zu setzen. Ich spreche mich nicht gegen CO2 Einsparung aus, aber wir brauchen die richtige Balance.

    Sie fordern auch eine neue Finanzierung der Nachhaltigkeitspolitik.

    Brunnhuber: Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat vor fünf Jahren 17 Nachhaltigkeitsziele verabschiedet, die die Weltgemeinschaft bis 2030 erreichen will. Von der Beendigung der Armut, über Bildung und Gesundheitsversorgung für alle Menschen bis zum Naturschutz. Aber bis heute hat niemand erklärt, woher die vier bis fünf Billionen Dollar pro Jahr dafür kommen sollen, die wir benötigen um diese Ziele zu finanzieren. Wenn wir dieses Geld zum Beispiel ausschließlich durch Steuern der Volkswirtschaft entziehen, würde sie zusammenbrechen. Dieser traditionelle Weg einer Umverteilung ist zudem zu langsam und die Volumina zu gering. Dabei bräuchten wir drei Generationen Zeit, um die Ziele umzusetzen. Das heißt, in den armen Ländern könnten erst die Enkel der heutigen Kinder in den Kindergarten gehen. Das ist doch nicht vermittelbar.

    Wie sieht Ihr Gegenmodell aus?

    Brunnhuber: Ich stelle die Frage: Was wäre, wenn die Zentralbanken, auf europäischer Ebene etwa zusätzliche Liquidität schaffen. Aber auf eine neue Art, als „grüne Euro“, gewissermaßen, die nur genau dahinfließen, wo sie gebraucht werden. Wir können dafür digitale Blockchain-Technologien verwenden, um zu garantieren, dass das Geld in die richtigen Hände fließt. Nehmen wir als Beispiel die 14 Prozent wirklich Armen in Europa. Wir können den Betroffenen für den Lebensunterhalt jeden Tag digital 3,50 Euro aufs Handy spielen. Damit wäre in weniger als 18 Monaten die Armut in Europa beendet. Und zwar korruptionsfrei. Denn in die Blockchain wird eine digitale Sicherung eingebaut, ein sogenannter „smart Contract“. Damit kann man nur bestimmte Dinge kaufen. Essen, Kleidung und Schulhefte, aber beispielsweise keinen Alkohol, keine Zigaretten, keine Waffen. Das wäre ein Konjunkturprogramm für die örtliche Wirtschaft in den ärmsten Gegenden, zugleich würde Kriminalität zurückgehen, die Bildung wachsen und der Wohlstand grüner werden.

    Eine parallele Währung? Wie realistisch ist das? Würde das Geld nicht gewaschen werden?

    Brunnhuber: Nein. Geldwäsche funktioniert nicht, da die Blockchain kontrollierbar ist. Es geht um eine nachhaltige Entwicklung, ohne dass die Hilfen in Korruption versickern. In der europäischen Geldmenge würden zum Beispiel sieben Prozent Wertschöpfung zusätzlich an elektronischen „grünen Euro“ fließen. Alles was mit man mit dem „grünen Euro“ kaufen kann, ist über die UN-Nachhaltigkeitsziele demokratisch bereits festgelegt. Technisch ist das kein Problem. Das sind digitale Bezahlsysteme, die es in ähnlicher Form schon gibt. Die Schwierigkeit ist nicht die Technologie. Die Schwierigkeit ist, dass wir uns in den Köpfen an zwei Bezahlsysteme gewöhnen müssten. Das ist vielleicht weniger effizient, aber sicher resilienter.

    Damit fordern Sie, dass die EZB und andere Zentralbanken schlicht digital Geld drucken. Würde das, abgesehen von der politischen Durchsetzbarkeit, nicht die Inflation in die Höhe treiben?

    Brunnhuber: Die EZB macht das ja seit Jahren, nur landet das Geld im Finanzmarkt bei Banken und im Immobiliensektor. Die Inflation ist trotzdem nicht gestiegen - im Gegenteil, die EZB hätte gern mehr davon. Es geht schlicht um eine nachhaltige Finanzpolitik, um in einer besseren und stabileren Welt zu leben. Einer reicheren und einer friedlicheren Welt zugleich. Mit der zusätzlichen über Blockchain geschaffenen Liquidität kann die heutige Generation die UN-Ziele Wirklichkeit werden lassen. Ich bin nach jahrelanger Arbeit an dem Thema optimistisch, dass uns dies gelingt. Also weniger Apokalypse ,dafür aber mehr Anpassung. Interview: Michael Pohl

    Zur Person: Der 57-jährige Prof. Stefan Brunnhuber  ist gebürtiger Augsburger und Ärztlicher Direktor in Sachsen, Professor in Mittweida und Vollmitglied des Club of Rome.

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